heute Nachmittag habe ich einen dieser seltenen Momente erlebt, in denen sich das Schicksal gewissermaßen im Jetzt selbst wiederfindet. Wie jede Woche kam ich vom Joggen, war körperlich leicht erschöpft, geistig jedoch vollkommen wach. Gewillt, recht bald nach Hause zu kommen, um in die abendliche Gemütsruhe zu finden, ging ich an zwei Straßenmusiker vorbei, welche mit Geige und Klarinette leichten Bar-Jazz spielten; jedoch nicht, wie man ihn kennt, vielleicht bewertet, möglicherweise gar abtun würde - sie spielten in einer Harmonie, mit Leib und Seele, Gefühle und Verstand.
Vom Moment ergriffen, blieb ich stehen. Alle Menschen um mich herum, in einem gleichmäßigen Zug, strömten in das hiesige Konzerthaus, in welchem derzeit das Filmfest stattfindet. Zurechtgemacht, liefen sie ihres Weges, im Geiste bereits eines Zieles vor Augen, welches sie für die Gegenwart blind zu machen scheint. Und das beinahe ausnahmslos - ohne Sinn und Liebe zum Augenblick.
Ich blieb stehen. Lauschte. Fühlte. War ganz bei mir. Lebte im Augenblick. Ganz und gar gefangen von dieser einfachen Musik, hörte ich einfach nur zu, sah die Menschen wie Geister an mir vorbeiziehen. Da wurde es mir bewusst: manchmal gelingt es dem Schicksal (ich nenne einfach dieses Wort für die Begebenheiten dieser Welt) einen voll und ganz gefangen zu nehmen, einen zu verzaubern, einen in das Jetzt zu bannen. Und dieser Moment, der nur und ausschließlich aus der Reaktion auf eine unerwartete Begebenheit passiert, ist mitunter erfüllt von so viel Magie, das es mir das gesamte Lebensprinzip des Planens infrage stellt. Vor allem - und das die noch viel wichtigere Erkenntnis - kann man das Leben im Jetzt lernen, das intuitive Sein und Reagieren auf die vielseitigen Möglichkeiten der Welt. Von dieser halben Stunde an, da ich den beiden zuhörte, da ich mich bei Ihnen bedankte für ihr schönes und inniges Spiel, begann mich der Weg des Schicksals zu ziehen, ohne das ich der meinen Planung etwas beimischte.
Ich hörte Musik, versank, beobachtete weiterhin die Menschen um mich her, alle geführt und gezogen von ihren eigenen Planungen. An der Haltestelle angekommen, machte ich einen Spaziergang und spürte das nahende Unwetter heran grollen. Im Zuge mit der gespielten Musik, wuchs dessen Heftigkeit und Mächtigkeit; der Bass erklang, sich steigernd. Der Donner mischte dem bei. Es war eine einzigartige Harmonie zwischen allem - und das nur, weil ich mein Bewusstsein nicht zur Steuerung bereits stimmiger Lebensprozesse, sondern rein zur Wahrnehmung dessen verwendete, was um mich herum geschah.
Warum auch soll man sich bewusst mit den Dingen beschäftigen, die intuitiv funktionieren, die mit einem Höchstmaß an Authentizität erledigt werden, wenn man mit dem Gift der Gedanken nicht einzugreifen versucht. Das Bewusstsein ist das Werkzeug der Wahrnehmung, des sinnlichen Genusses - das Werkzeug, einen Moment aufzugreifen und mit absoluter Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen.
Genau dies habe ich in den vergangenen Stunden getan und habe begriffen, wie schön es ist, sich vom Leben verzaubernd zu lassen, wie töricht und falsch es oft scheint, das Steuerruder bewusst an sich zu greifen. Ein Höchstmaß an Freiheit bedeutet es für mich, dem Tag offen und unvoreingenommen begegnen zu können - jedwede Situation mit offenem Geist und Gefühl meistern zu dürfen. Und erst dadurch ergeben sich meines Erachtens wunderbare Momente, die man in sich verschlossen, mit Zielen und Plänen belegt, gar nirgends für sich gewinnen könnte.
Habt ihr schon Ähnliches erlebt? Und wie denkt ihr darüber?

Es grüßt Euch,
das Yagé