Ich denke ich weiß, was du damit meinst. Ich erlebe es aber so, dass ich offener bin - und daher eher empfange als suche.

Wie immer liegt die Wahrheit dazwischen. Auf der einen Seite provoziert der Fokus auf die Fotografie und damit die Jagd nach dem perfekten Motiv eine eingeschränkte Empfindsamkeit für die Umwelt. Das ist auch der Grund, weshalb ich immer häufiger dazu tendiere, den bezaubernden Momenten nicht sogleich eine Kamera gegenüberzustellen, sondern ihre wahre Ästhetik mit all meinen Sinnen zu erfahren. Andererseits bin ich mir bewusst, dass gerade diese besonderen Momente, in denen man nur empfängt und nicht aktiv mitwirkt, viel zu schnell verblassen, wenn man ihnen kein Bild für die Ewigkeit widmet. Hier muss man gewissermaßen eine Brücke zu seinem Gedächtnis bauen, um sich, über sie gehend, dieser Besonderheit erinnern zu können. Und dazu dient in objektiver Form die Fotografie, in subjektiver Form das geschriebene (und somit gefärbte) Wort und in gemeinschaftlicher Form das gemeinsame Erleben, über das man sich im Nachhinein unterhält.
Einen dieser besonderen Momente habe ich vor einigen Jahren, bei einem Spaziergang im Herbst, festhalten können (sieht leider hier etwas gestrauchelt aus):
Hier gehts zum Bild in
Originalgröße!
Dieses Bild entspricht dem von dir genannten "Idealfall", gibt perfekten diesen unbeschreiblichen Moment wider, wurde mit einfachster Fotoausrüstung geschossen und gab mir den Anstoß dazu tiefer in die Fotografie einzusteigen.
Sicherlich kann man auch mit Stativ und Tele-Objektiv losziehen und auf solch einen Sonnenuntergang warten, dann aber verbindet mich mit dem Foto weniger die Erinnerung, sondern mehr die Besonderheit des Fotos. Was aber durchaus seine Berechtigung hat.
Auf der anderen Seite gebe ich dir völlig Recht, dass man mit dem Blick des Fotografen lernt, die Welt in einer völlig neuen Art und Weise zu entdecken. In meiner Hochzeit (langsam gesprochen

) des Fotografierens, in der ich jedes Wochenende losgezogen bin, entwickelte ich eine Offenheit für jene Bereiche der Welt, die oftmals als unwichtig definiert und der bewussten Wahrnehmung entzogen wird. Gerade die verborgene Welt des Makro-Kosmos, die eigene Liebe zum Detail, offenbaren nicht selten ungeahnte Schönheit. Die mannigfaltigen Strukturen der Blüten, die eindrucksvolle komplexe Beschaffenheit der Insekten, die bewegten Prozesse der Natur - all das verbirgt im Detail ein Universum, welches sich erst auf dem Bild bzw. bei SlowMotion-Aufnahmen in voller Pracht zeigt.
So zum Beispiel die eigenartigen Formationen des fallenden Wassers, am städtischen Brunnen aufgenommen:
Mit der Technik ist es bei mir so, dass ich mittlerweile oft weiß, welche Einstellungen ich wann am besten nehme und da nicht ganz so viel rumteste; bin ich mir aber unsicher, mache ich mehrere Aufnahmen in verschiedenen Einstellungen, aber ich schaue mir das Ergebnis auch meistens gar nicht gleich an. Dazu ist mir dann in diesem Moment die Zeit zu schade.

Das mit den Einstellungen geht mir sehr ähnlich. Irgendwann gewinnt man von alleine ein Gefühl dafür, welche Brennweite, Blendöffnung und Isowert man in dieser Situation wählt. Auch wenn ich mich manchmal etwas in meinen Versuchen verliere; denn lustigerweise komme ich nicht umhin mir die Ergebnisse sofort anschauen zu müssen (und das stielt dann auch die Zeit).
Ich gehe also eher auf "gut Glück" raus.
Nimmst Du dafür die Spiegelreflex-Kamera mit? Oder eben die Kleine?
Mit der habe ich nämlich das Problem, das sie mir eher zur Last und weniger zum Nutzen wird - beim Spaziergang oder wenn gar etwas zu erledigen ist, wirkt sie viel zu oft störend und nicht selten kam ich zurück mit ein, zwei erzwungenen Fotos, weil eben die Stimmung oder Inspiration nicht aufkommen wollte. Mit einer Kompaktkamera ist das sicher weniger problematisch, da man diese viel eher nebenbei mitschleppen kann.
Habt ihr mal versucht, in höheren Bewusstheitszuständen zu fotografieren?
Versuche dieser Art sind bei mir leider immer gescheitert. Wobei ich ehrlich gesagt bei den klassischen Psychedelika auch nie den Reiz verspürt habe, einen Fotoapperat mitzunehmen; es wäre sicherlich interessant, ob besondere Bilder im Nachhinein noch einen außergewöhnlichen Reiz versprühen oder ob man sogar einen Unterschied in der Technik des Fotografierens feststellen kann.
Wie machst du selbst das denn? Planst du vorher Zeit und Ort oder passieren Aufnahmen bei dir eher spontan?
Beides. Ort und Zeit werden meistens unabhängig vom Fotografieren geplant. Wenn es mir geeignet erscheint, nehme ich die Kamera mit und wenn die richtige Stimmung aufkommt, nutze ich sie auch ausgiebig. Aber wie oben schon beschrieben stellt sich oftmals auch einfach nur eine Last dar. Neben der Kamera habe ich dann nicht selten noch ein Wechsel-Objektiv dabei.
Nun zur Ästhetik
Schwierig. Ich denke, ohne diese Empfindungen kann zumindest nichts er-schaffen werden; sie sind die Voraussetzungen für eine gewisse Art von Kreativität.

Das mag schon stimmen, da diese Empfindungen sehr stark anregen und inspirieren. Aber wer bestimmt, was harmonisch ist und was nicht? Bei Gerüchen ist das Empfinden bei den meisten Menschen gleich, im visuellen Bereich ist die Tendenz oft eindeutig (z. B. Symmetrien), kann aber z. B. bei der Beurteilung der Schönheit von Personen sehr stark auseinander gehen, im auditiven Bereich liegt meines Erachtens das größte individuelle Spektrum (daher auch die unterschiedlichen Musikgeschmäcker).
Warum höre ich ein Musikstück und empfinde es höchst angenehm, wohlklingend, beruhigend, harmonisierend und jemand anderer, dem ich dieses Gefühl vermitteln will, fühlt etwas gänzlich anderes? Weshalb schaue ich mir lieber einen Sonnenaufgang an und stehe dafür eine halbe Stunde in der Kälte und die Mehrheit der um mich laufenden Personen nimmt ihn nicht einmal zur Kenntnis, obwohl er mich ausnahmslos in seinen Bann zieht?
Und gibt es diese Empfindungen auch bei Tieren?
Warum sollte das denn passieren, dauerhaft verblassen? Und warum zum Geier richtest du denn ausgerechnet deinen Fokus darauf?
Gute Frage!
Vielleicht ist es nur die fehlende Sensibilität bei den meisten meiner (älterer) Mitmenschen. Und wie das Gehirn so ist, spinnt es Fäden, kreiert Ideen, lässt Gefühle walten und erst zum Schluss - wenn alles soweit zusammengesetzt wurde - lässt es das Bewusstsein an diesen Arbeiten (oder vielmehr dem Ergebnis der Arbeiten) teilhaben.
Für mich ist das Wahrnehmen (oder eben nicht) von Motiven ein guter Indikator dafür, wo ich gerade stehe. Dafür, wie es mir geht, wie offen ich bin - oder wie groß die Scheuklappen derzeit sind. Finde ich ganz hilfreich und lohnt dann meist der genaueren Betrachtung...
Ehrlich gesagt habe ich das noch nie auf diese Weise betrachtet. Wenn ich emotional belastet bin, nehme ich automatisch weniger von meiner Umwelt wahr, da ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt bin. Wenn mein Fokus im Leben auf die Erfüllung gesellschaftlicher Konventionen lenke, bleibt ebenso kein Platz für rein ästhetische Wahrnehmungen.
Langer Rede kurzer Sinn: ich bin froh das die Welt so ist wie sie ist.

Die Realität ist Spiegelbild der Seele; wird nun das Innere verzerrt, so verschieben sich auch die Wesenszüge der Wirklichkeit.