Tau-f-risch hat geschrieben:Selbstlosigkeit bedeuted daher imho nicht, kein Selbst, Ich, Ego oder Identität zu haben, sondern ein Selbst, dass sich der eigenen Vergänglichkeit und Wandelbarkeit bewusst ist.
Jain.

So generell kann man das imho nicht sagen. Es ist in meinen Augen schon so, dass das Ego S.T.E.R.B.E.N. muss. Und zwar komplett.
Es ist allerdings
nicht so, dass dann da nicht immernoch etwas wäre, was halt in Ermangelung eines anderen Begriffes als "Ich" bezeichnet werden muss. Doch dieses "Ich" ist das Zentrum allen Seins. Es ist das "Ich", was im Satz "Ich werde das tun..." "Ich möchte dies..." gemeint sein kann. Es ist aber keine in Kontinuität eingegrenzte Persönlichkeit. Es ist Gott. Es ist Liebe. Es ist Essenz. Es ist das wahre Selbst. Es ist die Seele. Also muss man differenzieren.
Almaas tut das ja Folgendermaßen:
1) Selbst = Seele = Ist die Gesamtheit eines Wahrnehmenden Bewusstseins.
Das "wahre Selbst.", oder "höhere Selbst".
Das was wir wirklich sind.
Gott aka Liebe aka Essenz.
Das was bleibt.
Und da ist durchaus etwas, was wie gesagt in Ermangelung eines anderen Begriffes, als "Ich" Bezeichnet werden muss. (Tat tvam asi). Die alten Tibeter schreiben über den "Deva-Loka", den höchstmöglichen Seinszusstand nun:
"Anstatt völlig in den neutralen Grund aufzugehen, beginnt man sich plötzlich seiner Individualität bewusst zu werden, und Individualität bringt ein Gefühl der Verantwortlichkeit und Selbsterhaltung [...] Das ist der Bereich der Götter, der auch als Bereich des Stolzes bezeichnet wird. Stolz im Sinne des Aufbaus eines eigenen zentralisierten Körpers, der Erhaltung der eigenen Gesundheit" (Das Totenbuch der Tibeter, Chögyam Trungpa, S. 31)
Der Erfahrung dieses Seinszustandes steht nun aber eben folgendes entgegen:
2)
Ego/"Ich"/Persönlichkeit (lat. Persona = die Maske) / Individuality = Das "falsche Selbst", oder Maskenselbst.
Es entsteht aus Anhaftung an eine Identität; Auch zB durch die Anhaftung an die Erfahrung des wahren Selbst, Anhaftung an Liebe, Vermeidenwollen von Schmerz. Dies bedingt dann die Erfahrung von Hölle und Frustration,
da das nicht geht. Dieses Ego ist Teil des Minds, eine Struktur innerhalb des Minds - es schneidet einen ab, vom wahren Kern, von der Erfahrung der eigenen Essenz. Dies ist, was wir, bedingt durch das Vermeidenwollen des Schmerzes, den es bereiten würde unseren eigenen inneren "geschändeten Altar" (EkiW) zu betrachten, normalerweise als unser Ich begreifen, und uns als abgetrennt von allem anderen erleben lässt. Diese Struktur "schmilzt", insofern es möglich wird wirklich
hinzusehen und
anzunehmen.
Und darauf baut nun eine weitere Struktur auf, die damit in Ständiger Kommunikation steht.
2b)
Die "Ich-Identität" - Eine Selbstrepräsentation:
Sie ist ein Modell der Beziehung zu sich Selbst, der
Spiegel der Selbstbetrachtung. Dieses Modell ist damit beschäftigt die Illsuion von Kontinuität zu erzeugen, und bezeichnet sich daher gerne als absolut nötig, weil es Kontinuität für absolut nötig hält, damit es widerum etwas zum Festhalten und Anhaften gibt - es ist aber nicht nötig. Dieses Modell enthält u.a. das unbewusste Körperbild - alle starren Bilder über sich selbst.
Und dieses Modell, diese Struktur muss sterben, und seine Grenzen sich auflösen, damit Essenz erlebt werden kann.
Ganz.
Auf diesen Bildern des Spiegels der Selbstbetrachtung baut dann letztlich als äußerste Determinante dieser Strukturen,
3)
das Über-Ich, der innere Richter auf. Daher wird es auf dem Weg zu Essenz eben als allererstes erforderlich, sich mit diesem auseinanderzusetzen. Da der Mann viel klarer denken kann als ich gerade, und ich gerade etwas faul bin, setze ich einfach noch ein Zitat zum Über-Ich aus Almaas "Essenz" hinten dran.
Wir werden kurz und sehr allgemein die wichtigsten Züge der Schrittfolge der Entwicklung im Falle eines normalen Menschen besprechen. Eine genauere Beschreibung folgt in einer späteren Publikation. Die tiefsten und unmittelbarsten Wahrheiten bleiben der mündlichen Vermittlung vorbehalten, dem Prozess des Lehrens selbst.
Während sich Bewußtheit ausdehnt, wird sich der Mensch als erstes der Notwendigkeit bewußt, Wege zu finden, sich mit seinem Überich auseinanderzusetzen. Das ist die erste wichtige Aufgabe. Ohne die Fähigkeit dazu, wird man es äußerst schwer finden, Bewußtheit weiter auszudehnen und sich mit dem Unbewußten auseinanderzusetzen.
Der Grund dafür ist, daß der Status quo der Persönlichkeit vom Überich aufrechterhalten wird, und zwar besonders dadurch, daß das Unbewußte mittels der Abwehrmechanismen des Ich unbewußt gehalten wird. Die Instanz, die diese Abwehrfunktionen erzwingt, ist das Überich.
Wir müssen den Verdrängungsprozess begreifen, um diesen Mechanismus besser zu verstehen: Bewußtheit des unbewußten Materials macht dem Ich Angst. Das Ich antwortet auf Angst mit Verdrängung; es schneidet Bewußtheit vom auftauchenden unbewußten Material ab. So vermeidet es die Erfahrung der Angst und damit die desintegrierende Wirkung der Angst auf die Ich-Struktur.
Ursprünglich war die Angst die Furcht vor den Gewalt ausübenden Mächten in der Kindheit, repräsentiert vor allem durch die Eltern. Wann immer die Eltern etwas mißbilligen, was das Kind tut oder fühlt - und das geschieht wiederholt - lernt das Kind, aus Furcht vor dieser Mißbilligung und auch aus Liebe zu den Eltern, die jeweilige Handlung und das jeweilige Gefühl zu unterdrücken und schließlich zu verdrängen. Mit der Zeit aber wird die Mißbilligung als Teil des eigenen Überich des Kindes internalisiert. Wenn dann eine Situation diese besondere Handlung oder dieses Gefühl provoziert, antwortet das Überich des Kindes mit Mißbilligung und straft das Kind mit Schuldgefühl, Scham und anderen schmerzhaften Affekten. Die Furcht wird die Furcht vor dem eigenen Überich. Das Kind lernt aus dieser Furcht vor dem Überich und der Strafe, sich auf die gleiche Weise zu verteidigen wie gegen seine Eltern. Es verdrängt die jeweilige Handlung oder das jeweilige Gefühl. Es schneidet die Bewußtheit seiner eigenen Impulse, Gefühle und Handlungen ab. Damit das wirksam sein kann, muß der ganze Mechanismus unbewußt und automatisch sein. Das Unbewußte bleibt aus Furcht vor dem Überich, und um sich gegen seine Angriffe zu schützen, unbewußt. So wird das Überich die innere Zwangsinstanz, die über den Status quo der Persönlichkeit wacht.
Das bedeutet, daß man sich, wenn man Bewußtheit entwickelt und einiger Teile des Unbewußten bewußt wird, der Furcht vor dem Überich und, wenn man über diese Furcht hinausgeht, seinen Angriffen selbst aussetzt. Abgesehen davon, daß diese Konfrontation mit dem Übrich viel Schmerz und Leiden verursacht, hemmt sie Bewußtheit und ihre Ausdehnung, bis man eine Lösung für diese Situation findet.
Die Psychoanalyse analysiert in so einem Fall die Situation und versucht, ihre Entstehung zu verstehen. Mit der Zeit verbessert dieser Prozess die Situation. Das Überich wird in seinen Forderungen und Normen realistischer und seine Angriffe milder. Andere Schulen benutzen andere Methoden, um mit dem Überich direkt oder indirekt zu arbeiten, aber alle psychotherapeutischen Methoden arbeiten nur daraufhin, die Situation zu verbessern. Das Überich bleibt ein wichtiger und aktiver Teil der Persönlichkeit. Die Möglichkeit der vollkommenen Auflösung des Überich liegt nicht im Blickwinkel von Psychotherapie und wird von ihr auch nicht als wünschenswertes Ziel gesehen.
Es liegt auf der Hand, daß das so ist, weil in der 'Weltanschauung' des Analytikers und des Psychotherapeuten Essenz nicht vorkommt. Die Präsenz von Essenz, mit ihrer unmittelbaren und objektiven Wahrnehmung und ihrer ausgeglichenen menschlichen Natur ist unbekannt, so daß ein Leben ohne das Überich und stattdessen mit einer objektiven Wahrnehmung im Horizont des Möglichen nicht vorkommt. Das Vermögen der Essenz, zu wissen und ihrem Wissen gemäß zu handeln, wird nicht gesehen. Es bleibt also immer der Glaube an die Notwendigkeit, daß Ideale, Moral und Regeln das Leben lenken müssen. Aus unserer Perspektive ist das Überich die innere Zwangsinstanz, die der Ausdehnung von Bewußtheit und der inneren Entwicklung entgegensteht, unabhängig davon wie milde oder vernünftig es wird. Es ist ein Ersatz, und zwar ein grausamer, für unmittelbare Wahrnehmung und unmittelbares Wissen. Innere Entwicklung verlangt, daß es mit der Zeit keine inneren Instanzen mehr gibt, die innere Gewalt ausüben. Stattdessen gibt es dann eine innere Regulierung, die auf objektiver Wahrnehmung, Verstehen und Liebe beruht.
Der beste Wegist der, Macht und Einfluß des Überich zu vermindern und es soweit wie möglich mit Bewußtheit zu ersetzen, bis schließlich zu seiner endgültigen und vollkommenen Absetzung. Dadurch werden wiederum einige wichtige Aspekte von Essenz etabliert.
Das Ich reagiert auf das Überich automatisch und unbewußt mit Verdrängung von Teilen der Persönlichkeit, um sich vor seinen schmerzhaften Angriffen zu schützen. Eine wirksame Weise mit dem Überich zu arbeiten, besteht darin, zu lernen, sich auf eine andere Weise gegen seine Angriffe zu schützen, als verdrängen oder die anderen unbewußten Abwehrmechanismen einsetzen zu müssen. Die Methode muß bewußt und gezielt sein, im Gegensatz zu den gewohnheitsmäßigen, automatischen Reaktionen, die nur Unbewußtheit fördern können. Lernen, wie man sich bewußt und gezielt gegen das Überich und seine Angriffe verteidigt, bedeutet ein ganz neues Verstehen und eine ganze innere Technologie zu lernen. Sie nutzt das Wissen davon, was das Überich ist, und die eigene Intelligenz, um mit ihm umzugehen und sich gegen seine Angriffe zu verteidigen.
Ein einfaches Beispiel, um diese Methode zu veranschaulichen: Angenommen ein Mann reagiert jedesmal mit Scham, wenn er ein zärtliches Gefühl für einen anderen Menschen empfindet. Das Überich attackiert ihn mit Scham und Herabsetzung, entsprechend dem Urteil, daß Zärtlichkeit bei einem Mann heißt, daß er schwach und feminin ist. Um anzufangen an seinem Überich zu arbeiten, muß er sich zuerst des Angriffs, seines Inhalts und des Inhalts des Urteil bewußt sein. Dann muß er das Urteil psychodynamisch verstehen. Zum Beispiel könnte er sich daran erinnern, daß sein Vater die Einstellung hatte, daß Männer hart sein sollten und Zärtlichkeit nur zu Mädchen und Frauen paßt. Dann versteht er, daß er die Haltung seines Vaters introjiziert hat und sie zum Teil seines Überich gemacht hat. Normalerweise reagiert er auf diese Haltung, die ein Angriff auf ihn selbst ist, mit Scham und Verdrängung. Er wendet jetzt diese Methode an, stellt sich seinen Vater vor und sagt ihm: "Papa, laß mich in Ruhe' Du kannst von mir denken, was Du willst." Er geht mit seinem Überich so um, wie er es als Kind mit seinem Vater nicht gekonnt hätte. Er hatte sich gegen seinen Vater nicht wehren können, weil er ihm geglaubt hat, Angst vor ihm hatte und ihn brauchte. Diese Methode wirkt vielleicht nicht das erste Mal, aber wenn man es mehrmals wiederholt, wird es die Aggressionen des Mannnes an die Oberfläche bringen und er wird lernen, sich zu behaupten und sich von der Haltung seines Vaters zu trennen.
Die Abwehr muß intelligent sein, damit sie wirkt. Wenn der Mann zum Beispiel antwortet: "Vater, es ist nicht wahr, daß ich schwach und feminin bin. Zärtlichkeit ist gut, und bedeutet nicht Schwäche oder Feminin sein", dann argumentiert er mit einem Überich, daß nicht wirklich rational ist. Außerdem hat er diese Antwort wahrscheinlich auch schon viele Male versucht, aber ohne Erfolg, weil er mit dieser Antwort in der Defensive ist. Er versucht, sein Gefühl zu rechtfertigen und jemand anders bestätigen zu lassen, daß er in Ordnung ist. Eine Rechtfertigung impliziert schon ein gewisses Schuldgefühl, deshalb wirkt sie nicht. Die Antwort: "Papa, laß mich in Ruhe!" ist wirksam, weil sie kein Versuch der Erklärung oder Rechtfertigung ist und es deshalb auch keine Implikation unbewußter Schuld gibt. Der Mann wirft den Angriff einfach zurück und weigert sich, ihren Inhalt zu hören. Er distanziert sich vollkommmen vom Überich und gibt ihm keine Macht über sich.
Es ist schwer, die Kraft und Effektivität dieser Methode einzuschätzen, ohne sie zu erlernen und eine gewisse Zeit lang zu versuchen. Aber wenn man lernt, sich gegen sein Überich zu verteidigen, dann braucht man mit der Zeit die unbewußten Abwehrmechanismen nicht mehr. Dann bringt ein wenig Arbeit an Aufmerksamkeit und Wachheit das unbewußte Material ans Licht. Das ist ein ein allmählicher Prozess der Öffnung des Unbewußten, der für innere Entwicklung von äußerster Wichtigkeit ist. Man lernt, so geschickt und gewandt im Umgang mit
dem Überich zu werden, daß es nach und nach seinen Griff lockert. Die Struktur des Überich selbst wird für das Verstehen bloßgelegt und das hilft, ihre strukturelle Basis auflösen.
Diese Methode wird, wenn sie bis zu Ende angewandt wird, zur Verwirklichung und Entwicklung verschiedener essentieller Aspekte führen. Die Aktivierung von Aggression für Abwehr und Selbstbehauptung führt zum essentiellen Aspekt der Stärke. Mit der Zeit führt sie dann zum essentiellen Aspekt des Selbst, der wahren Identität. Die Intelligenz, die man bei dieser Methode braucht, entwickelt sich mit der Zeit zum Aspekt objektiven Bewußtseins, dem Diamant-Körper. Die moralischen Regeln und Normen des Urteilens weichen allmählich dem essentiellen Gewissen. Dieser Aspekt von Essenz wird der wahre Beschützer der Essenz, die wahre Abwehr, und ersetzt die unbewußten Abwehrmechanismen des Ich.
Die Arbeit auf diese Ebene der Verwirklichung hin führt dann zur Arbeit mit dem Ich und dem Es, den tieferen Determinanten der Struktur des Überich. (A.H.Almaas, Essenz)
Gruß
Schuh