LSD - Die Ruhe vor dem Sturm
Verfasst: 27. November 2009, 18:51
Die ist der Tripbericht meiner Freundin. Meine Sicht der Nacht habe ich bereits hier beschrieben:
http://www.pantorise.net/viewtopic.php? ... 56&start=0
Sie hat den Bericht direkt am Tag danach geschrieben und im Wesentlichen unverändert gelassen. Es ist also ein sehr authentischer Abdruck ihrer Gefühlswelt direkt nach dem Erlebnis, unverfälscht durch mit der Zeit einher gehende Verintellektualisierungen.
http://www.pantorise.net/viewtopic.php? ... 56&start=0
Sie hat den Bericht direkt am Tag danach geschrieben und im Wesentlichen unverändert gelassen. Es ist also ein sehr authentischer Abdruck ihrer Gefühlswelt direkt nach dem Erlebnis, unverfälscht durch mit der Zeit einher gehende Verintellektualisierungen.
Der Wald schien bedrohlich, die Bäume verdeckten den Himmel, ich konnte die Flugzeuge zwar hören, aber nicht sehen, folglich konnte ich mir genauso gut nur einbilden, es würde sich um Flugzeuge handeln. Es hätten genauso gut die Bäume sein können, die uns mit tiefen Basslauten zu verstehen geben wollten, sie seien uns nicht wohlgesonnen und wir dort nicht erwünscht.
Wir hatten eine kleine Laterne dabei, feuerrot und leicht deformiert, echte Handwerkskunst halt, sie wehrte sich gegen den hartnäckigen Herbstwind, verlor allerdings immer und immer wieder. Es schien mir ein Zeichen. Sie wollte uns den Weg nicht leuchten, denn wir waren nicht erwünscht. Der Wald wollte uns nicht. Ich musste da raus.
Es gibt Zeichen, es muss sie nur jemand sehen, zu deuten wissen und zum Rückzug blasen. Ich konnte nicht zulassen, dass wir blindlings ins Verderben rannten, ich hab die Zeichen gesehen und sie standen nicht gut für uns.
Auf dem Rückweg fühlten sich meine Knie zunehmend Pudding-ähnlich an, allerdings federten sie meine Schritte noch tapfer ab und trugen mich fast von alleine. Mich beschlich zwar die leise Ahnung, es würde der Moment kommen, in dem sie mit dem Weg verschmolzen, aber Ahnung ist nicht gleich Angst und so blieb ich ruhig.
Zuhause angekommen, zog ich mir etwas Bequemes an, setzte mich aufs Bett, sah Ohn dabei zu, wie er paralysiert an die Decke starrte und folgte schließlich seinem Blick. Immerhin gab es seiner Angabe nach da oben deftige Vermorphungen zu bestaunen, doch meine Augen trafen nur auf eine bemerkenswert schlecht gestrichene Zimmerdecke, die von einem völligen Stümper verputzt worden sein musste. Ich fand das irgendwie unfair. Ohn hat bei gemeinsamen Trips schon nicht mehr als eine dreiviertel Pappe genommen und wurde hinfort gespült in ein Land der Farbenpracht, brillanten Gedanken und prasselnden Erkenntnissen. Ich hingegen bin nach Einnahme einer Pappe schon mal eingeschlafen, wachte auf, fühlte mich bekifft und stellte fest: Ich bin ja auch bekifft…
Ich wollte nicht viel brauchen, um viel zu sehen. Wer will schon unsensibel auf eine sensible Droge reagieren? Aber damit musste ich mich wohl abfinden. Bislang ist es auf vorherigen Trips immer so gewesen, dass ich, verglichen mit Ohn, die doppelte Menge nehmen musste, wenn ich ähnliche Effekte erzielen wollte. Die logische Konsequenz: Ich musste den Rest des mit LSD versehenen Sekts trinken. Ohn hatte ein halbes Glas getrunken und schon verwandelte sich die Decke über seinen Augen zu einem visuellen Feuerwerk, also musste ich das Glas leeren und schon würde ich mit morphender Faszination belohnt werden.
Ich trank und horchte in mich hinein. Es war frustrierend, alles schien still zu stehen, nichts schien sich anzukündigen. Dabei stand ich zu diesem Zeitpunkt, davon bin ich fest überzeugt, schon mitten im Auge des Hurrikans.
Und nach der Ruhe, kommt der Sturm.
Urplötzlich fand ich mich inmitten eines Raumes wieder, tobte, schrie, rang, kämpfte, hielt eine Masse in meinen Händen, von unbeschreiblicher Substanz und Konsistenz. Fast ein bisschen wie heiße Bonbonmasse, nur weniger lieb, gar nicht süß. Wenn die Masse erkaltet, dann wird sie fest und wenn sie fest wird, dann zerbricht sie früher oder später. Für mich war klar: Ich musste sie zerbrechen, denn die Masse war ich – oder umgekehrt. Ich musste mich nicht von ihr befreien, sondern aus ihr, also zerrte ich sie in die Länge, schleuderte sie brüllend gegen die blutigen Wände meiner selbst; wann immer sie sich unter der Brutalität meiner Hände wand, nahm sie menschliche Gestalt an, aber nur solange, bis ich sie erneuert gegen die Wand warf, schleuderte, mit unbeschreiblicher Aggression. Wie und ob ich sie tatsächlich zum Zerbersten bringen konnte, sah ich nicht, denn plötzlich öffneten sich unzählig viele Türen und eine gigantische Gedankenflut riss mich von den Beinen, ich wurde unter tonnenschweren Bildern begraben und war erschlagen ob der Dinge, die geschahen. Ich habe Furchtbares gesehen und kriege beim Weiten nicht alles wieder rekonstruiert. Ich erinnere mich nur schemenhaft an schreckliche Bilder, grausame Gedanken und unendliche Gewaltszenen.
Ich habe mich so schuldig gefühlt, weil ich mich in dem Glauben gewogen habe, ein netter Mensch zu sein, empathisch, wenn ich es will, humorvoll und gar nicht mal so blöde. Ich bin für alternative Energien, trage Kinderwägen die Treppen der U-Bahn hoch und runter, trete Senioren meinen Sitzplatz ab und bringe meinem Freund ein Bier mit, damit er sich freut. Ich hatte wirklich immer gedacht, nicht zu den schlechten zu gehören. Immerhin bin ich Vegetarierin.
Aber während des Trips wurde ich in Kammern meiner Psyche gestoßen, die Grausames beherbergen. Die Hölle wohnt in mir und als wäre diese Erkenntnis nicht furchtbar genug gewesen, zwang mich mein Zustand weiter hinzusehen. Er duldete kein Entkommen, zeigte kein Erbarmen. Je schockierter ich wurde, desto heftiger traten meine Gedanken und Gefühle auf mich ein, peinigten mich, zeigten mir immer bösartigere Winkel meiner Hölle.
So sehr ich auch litt, so klar saß ein Teil meines Ichs in meinem Kopf, vorne in der Stirn und schaute auf das ganze Desaster hinab, wie ein Kommentartor im Fußballstadion. Sie kommentierte das Gefecht nicht nur, sie schrieb es mit und das mit einer Brillanz und Genialität und so unendlich geistreich, dass ein anderes Ich in mir vor Entzücken ob dieses Genies quietschte und jauchzend Beifall klatschte. Ich schrieb ganze Romane in einem Affenzahn, füllte die Seiten mit gewonnen Erkenntnissen, gefundenen Zeichen, kombinierte, ergänzte, korrigierte, witzelte und sprühte vor Kreativität. Es gab nur ein Problem: Das alles existierte nur in Gedanken, schien mir aber so aberwitzig brillant, dass es unbedingt und zwingend den Weg in die Öffentlichkeit finden musste. Ich musste mich einfach mitteilen, ich durfte das alles nicht an mein miserables Gedächtnis verlieren. Ich dachte mich in einen Strudel der Ohnmacht, schrieb in Gedanken exzessiv mit, bannte Gedanken auf Leinwand, inszenierte ganze Filme und verlieh mir dutzende Oskars, gab unzählige Interviews und bejubelte mich. Derweil krümmte sich mein anderes Ich unter den Schmerzen der Gedanken und Bilder, die das eine Ich zwar genial zu verewigen versuchte, mich aber erschütterte, schockierte und allmählich in Panik versetzte.
Ich wurde zurück geführt zu tatsächlichen Erlebnissen der letzten Tage. Ich sah von oben auf die Szenerie, spielte Dialoge nach, analysierte meine Rolle und stellte fest: Ich bin ein Monster. Ich bin ein unsensibles Arschloch, egoistisch, egozentrisch, verletzend, überheblich, närrisch, dumm, falsch, hässlich, abstoßend, widerlich, verachtenswert. Ich schämte mich ob meiner Blindheit das alles nicht gesehen zu haben. Ich hätte es kommen sehen müssen. Ich hätte ahnen müssen, dass dieser Trip die Hölle wird, denn da gehörte ich hin, schließlich wohnte sie in mir und ich in ihr. Wie hatte ich das nur nicht kommen sehen? Es war doch so klar. Es lag doch auf der Hand. Es gab so viele Zeichen. Ich wollte mich entschuldigen, die Stimme in meiner Stirn schrieb mir eine mitreißende Rede, die alle mögliche Wut meines Gegenübers ausblasen würde, wie der Wind während des Spaziergangs die schwache Flamme unserer kleinen Laterne. Aber so wortgewandt und gewitzt die Stimme in meiner Stirn, desto schlimmer das Zusammenhanglose Gebrabbel, das mir tatsächlich über die Lippen kam. Die Worte rasten wie eine wildgewordene Flipperkugel durch mein Hirn, ich konnte sie unmöglich alle einfangen und in der richtigen Reihenfolge schon gar nicht. Also verließ nur ein Gedankenstrang eines riesigen Knäuels meinen Mund. Es war zum verzweifeln.
Ich drehte mich inzwischen rotierend im Kreis, verlor mehrfach die Orientierung, trieb von Kammer zu Kammer, von Türspalt zu Türspalt, wurde gepackt und mal hier, mal da rein gestoßen, wurde auf den Boden geschmissen, getreten und geschlagen und dachte mich in einen aberwitzigen Strudel grotesker Absurditäten, unterbrochen durch die klare Stimme meiner Stirn-Stimme.
Wann immer ich irgendwas unternehmen wollte, mich verständlich machen wollte, in die Situation eingreifen wollte und sei es nur durch das Öffnen eines der Zimmerfenster oder das Aufräumen des Zimmers, blieb ich bewegungslos und überlegte mir folgendes:
Wie kann ich das Zimmer aufräumen? Müll in eine Tüte schmeißen und Geschirr abwaschen? Das würde bei weitem nicht reichen, um dieses Zimmer aufzuräumen. Wäsche muss gewaschen werden, getrocknet, zusammen gelegt, verstaut, der Boden abgeschliffen, lackiert, poliert werden, die Schubladen der Kommode verschraubt, die kaputte Bodenplatte und der Griff ausgetauscht werden, dafür hätte ich zu IKEA gemusst, die Bücher wollten sortiert werden, verstaut, aber wir haben kein Regal für sie und wie sollte ich das Fenster öffnen? Ich musste erst neue Jalousien kaufen und bevor ich die anbringen konnte, brauchte ich einen Akkuschrauber und der Rahmen muss abgeschliffen und lackiert werden, aber vorher musste ich die Wände neu verputzen und bevor das geht, muss erst der alte runter und dann streichen, dekorieren, Möbel neu anordnen, besser noch: neu kaufen. Wo sollte ich anfangen? Und wie sollte das gehen? Ich brauchte jetzt Perfektion. Jetzt. Jetzt. Jetzt. Ich wollte mich jetzt mitteilen und zwar mit der Wortgewalt und Genialität meiner Stirn-Stimme und nicht mit Hilfe meines stumpfen Geblubbers. Und so wie ich nicht aufräumen und wie ich das Fenster nicht öffnen konnte, konnte ich mich nicht nach außen mitteilen. Es hätte eine Perfektion voraussetzen müssen, die ich im Leben niemals leisten konnte. Denn ich war dumm, hässlich, unfähig, überheblich – ein schlechter Mensch.
Irgendwann, da war das Licht bereits erloschen und der Fernseher verstummt, ertrug ich die Farbenpracht der Nacht nicht mehr. Es war egal, ob meine Augen geöffnet oder geschlossen waren. Alles blitzte und zuckte, flackerte und wirrte in kräftigen Farben, die auf mich einströmten und Panik entfachten. Ich verlor meinen Verstand, verfiel dem Wahnsinn, ich war nicht mehr, ertrug nicht mehr, verlor mich in der Angst, niemals mehr ganz zu sein, nie mehr ich, nicht wieder gehen zu dürfen. LSD gönnte mir keine Pause, schubste mich von Tür zu Tür, schlug mich immer wieder, trat mich, riss an mir und zeigte sich gnadenlos, während ich begriff, einen schweren Fehler gemacht zu haben. Ich hatte LSD unterschätzt. Ich hatte so sehr danach geschrien und nun ertrug ich seine Anwesenheit nicht länger. Es sollte mich gehen lassen. Ich war erschöpft, so unendlich müde, wurde von einer Panikwelle nach der nächsten weggespült, sah nur noch Zeichen, die ich hätte sehen müssen, suchte nach Schlüsseln und verzweifelte, verzweifelte, verzweifelte. Jedes Zeichen brauchte seinen eigenen Schlüssel. Unzählige Zeichen ergaben unzählige Schlüssel und alles konnte einer sein. Ein Brotkrümel auf dem Bett, eine Berührung, ein Wort, eine Schwingung – alles. Ich hatte es inzwischen geschafft, Ohn von meiner Hölle zu erzählen; wie weiß ich auch nicht so genau. Vielleicht, weil ich neben dem Gebrüll der Panik den leisen Gedanken hatte, würde ich es ihm nicht erzählen, gewann der Wahnsinn endgültig und zwar für immer. Ich hatte es verloren und es würde verloren bleiben. Ich befand mich in der Hölle und würde für immer da bleiben, während die Stirn-Stimme weiter bei Verstand blieb und ohne Unterlass Brillanz versprühte.
Es war ein Teufelskreis. Ich stand immer wieder vor Türen, die ich bereits gesehen hatte, dachte immer wieder Gedanken, die mir schon unzählige Male gekommen waren, sah Bilder, die ich inzwischen in- und auswendig kannte, auch wenn sie ihren Schrecken nie verloren. Ich war es leid, ich wurde wütend, erzählte Ohn völlig aufgewühlt und mit erhobener Stimme, dass ich es begriffen hatte. Dass ich jetzt alles gesehen hatte und mir klar war, die Wand jetzt nicht neu verputzten zu können. Ich konnte das jetzt nicht tun, mir fehlte die Kraft all das zu ändern, was ich schreckliches in mir gesehen hatte. Ich fing an zu weinen. Ich konnte nicht mehr, bat darum, gehen zu dürfen, immer und immer wieder. Ich brauchte endlich den Schlüssel zum Ausgang. Bitte. Bitte. Ich brauchte diesen Schlüssel. Jetzt. Bitte. Ich wollte schlafen, endlich schlafen. Ich litt schon seit Stunden, mindestens sechs. Bei den vorherigen Trips hatten wir die ersten Pappe zumeist gegen 22 Uhr genommen, sind dann irgendwann gegen 6 Uhr eingeschlafen. An diesem Tag tranken wir den LSD-Sekt gegen 18 Uhr, laut alten Rechnungen hätte mich der dringend benötigte erholsame Schlaf gegen 2 Uhr ereilen müssen. Inzwischen zeigten die Zeiger aber 6 Uhr. Ich war schon viel zu lange wach. Ich hab viel zu viel gesehen, viel zu viel gedacht, viel zu viel gelitten, ich hatte viel zu viel Angst. Ich musste gehen, es musste mich schlafen lassen, sonst verlor ich meinen Verstand. Doch ein Puzzlestück fehlte; ein Schlüssel fehlte und ich fand ihn einfach nicht.
Selbst mein Lieblingsfilm, von dem ich mir Erlösung erhoffte, verspottete mich. Während Ohn den Film auf den USB-Stick packen wollte, stürzte der Rechner ab. Das Ding, das den Schlüssel, den letzten fehlenden Schlüssel aus der Hölle beherbergte, stürzte ab. Eine Katastrophe. Ich hatte mich grade beruhigt, die Panik grade eindämmen können und schon brachen erneuert die Dämme. Das war ein Zeichen! Das musste einfach ein Zeichen sein! LSD wollte mir den Schlüssel nicht geben, weil ich nicht verschont werden durfte. Weil ich schlecht war. Und hässlich und all die Gedanken, die ich schon hunderte Male in einer Sekunde hatte. Und das über Stunden.
Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr. Ließ mir immer wieder erzählen, LSD karikiert, treibt alles auf die Spitze und verzerrt. Ich bin nicht so schlimm, wie es schien. Und ich würde es sehen können, wenn sich die Substanz abbauen würde. Das war Rationalität. Das war gut. Das war ein Argument. Ich konnte gar nicht wahnsinnig werden, weil LSD mir nur einreden wollte, ich wäre es und LSD würde abgebaut werden. Das ist sein Schicksal. Diese Erklärung wurde mein Mantra und ich wurde ruhiger, die Angstattacken traten in größer werdenden Abständen auf, richteten weniger und weniger Schaden an, gestanden der Erschöpfung mehr Raum zu.
Und dennoch: Ein Gedanke ließ sich nicht verscheuchen, nicht bis in die späten Vormittagsstunden – Der Trip dauerte knappe 16 Stunden, die Hälfte davon weilte ich in der Hölle, peinigte und wurde gepeinigt, schlug und wurde geschlagen. So etwas kann nicht spurlos an einem abprallen. So etwas kann nicht frei von Konsequenzen bleiben. So etwas zwingt zum Handeln und Überdenken.
Ich muss den Putz lösen, Löcher verspachteln und Unebenheiten abschleifen.
Das ist eine Menge Arbeit.