Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Ein wunderschöner Beitrag Mao. :bow:
raellear hat geschrieben: Was ist nun mein Problem damit? Naja, man wird es schon ahnen können: Angst. Keine existenzielle Angst, aber doch Angst vor dem Unbekannten.
Treffe ich mit einer Person zusammen, die diesem Bild zu einem gewissen Grade entspricht, so werde ich handlungsunfähig. Vielleicht kommt hier das Dreieck wieder durch: Die Angst vor dem Unbekannten engt mein Anima-Bild ein. Sie kann sich nicht befreien - ja aber warum eigentlich?
Rational weiß ich natürlich, dass die Angst schwachsinnig ist und dass hier einfach irgendetwas über-idealisiert wird. Aber andererseits ist meine Angst auch irgendwie funktional. Die Anima gibt mir die Kraft, kreativ und energetisch zu sein; ich will mir diese Kraft nicht entwerten.
Das du der Angst einen funktionalen Stempel aufdrückst klingt gerade zu nach einer Aktion des Über-Ichs.
Wenn sie sich in ihrem äußeren Erleben der Welt an ihre konditionierten Maßstäbe und Überzeugungen halten, gelingt es ihnen vielleicht, den Richter nicht allzu sehr zu verärgern. Viele Menschen verbringen ihr ganzes Leben mit dem Bemühen, dem Coaching, der Anleitung und den Warnungen des inneren Kritikers Folge zu leisten. Die Gesellschaft fördert das. Treffen sie allerdings die Wahl, sich der inneren Arbeit zu widmen und machen sich auf die Suche, um zu verstehen wer sie sind, was ihr Leben bedeutet und was die Wirklichkeit ist, dann gehen sie notwendigerweise einen direkten Konflikt mit dem Richter ein. Mit der Erforschung ihrer Überzeugungen, ihrer Erlebnisse und der Gründe, weshalb sie sich auf bestimmte Weise verhalten und fühlen, stellen sie automatisch seine Autorität in Frage. Wenn sie den Unterbau ihrer psychologischen Realität (ihrer Art zu denken und zu fühlen) ins Bewusstsein bringen, würden sie diese Annahmen und Überzeugungen möglicherweise durch direktes Wissen ersetzen. Sie würden also erleben, dass ihr bewusstes Gewahrsein an die Stelle akzeptierter Maßstäbe und Überzeugungen treten kann. Dann brauchen sie nicht mehr von ihrem Unbewussten in Gestalt des Richters geleitet, begrenzt und kontrolliert werden.
Der Richter kann diesen Prozess nur als Bedrohung für seinen Job und seine Autorität ansehen. In seinem Bemühen, diese tiefen Überzeugungen aufrecht zu erhalten, wird er sie direkt und indirekt, offensichtlich uns insgeheim angreifen.
Aus: Befreiung vom Inneren Richter von Byron Brown.

imho stellt diese Rationalisierung der Angst (Suche nach der Funktion) einen indirekten Angriff dar. Wer profitiert davon? Du wirst diese Kraft unmöglich entwerten können wenn du dich ihr näherst.
happiness is the absence of resistance

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, aber der Verdacht drängt sich mir sehr auf. Ich beschäftige mich erst seit kurzer Zeit mit den Archetypen. Bei meinem vorletzen LSD-Trip deuteten sich schon verschiedene Merkmale an und ich brachte das Erlebte damit in Verbindung. Vor ein paar Tagen habe ich nochmals bei Grof über Jungs universale Archetypen gelesen, wo er eine Erfahrung beschreibt, wie er "im Theater des Kosmischen Dramas saß, wo die Kräfte auftraten, die die menschliche Geschichte gestalten."

Bei meinem Trip am Wochenende machte ich nun eine Erfahrung, die keinen Zweifel daran lässt, dass es sich um ebensolche archetypische Prinzipien handelte. Ich durfte miterleben, wie sich diese durch mich ausdrücken und ausagieren, mich und meinen Körper benutzen, um ihr beeindruckendes Schauspiel aufzuführen.

Ein Großteil der Reise war vom weiblichen Prinzip geprägt, welches mich vielfältigste, unterschiedliche Charaktereigenschaften spüren ließ. Überwiegend hatte ich es wohl eher mit der schrecklichen Muttergöttin zu tun, denn streckenweise kam ich mir vor wie das Schoßäffchen einer mächtigen alten Dame, das Prügel zu befürchten hatte, falls es nicht spurte. Ihren Ton nahm ich als total überzeichnet im Stile eines tuckigen Männerzimmers wahr, welches die Rolle des Über-Ich übernommen hatte: „Hach Gottchen, jetzt hör doch auf rumzuzicken, mein Zuckerschnäuzchen. Sei ein braves Äffchen, sonst wird Dir Mami Deine süßes Popöchen versohlen.“ Dabei erkannte ich, dass die selbstsüchtigen Bedürfnisse des Egos in Anbetracht der höheren Macht so winzig, bedeutungslos und lächerlich ironisch sind, wie das durstige Verlangen einer Stechmücke, die von einer überdimensionalen Fliegenklatsche zu Brei zermanscht wird, bevor sie Gelegenheit hatte, ihren Rüssel in die Haut des Wirtes zu bohren, um an den begehrten Saft zu gelangen. Das Ego hat hier kein Wörtchen mitzureden, sondern nur zuzusehen und sich bedingungslos zur Verfügung zu stellen, und solange es leise ist und nicht versucht Widerstand zu leisten, läuft alles wie geschmiert. Dann wandeln sich die archetypischen Prinzipien im ständigen Fluss, wechseln sich ab parallel zu äußeren Geschehnissen, wie Geräuschen, Musik, Wind, Licht usw., spiegeln unbewusste Inhalte vor, erteilen Lektionen und liefern neues Filmmaterial im kosmischen Theaterspiel. So gaben sich dann auch das ewige Mädchen, der ewige Jüngling, der Krieger, der Schelm und die Liebenden die Ehre. Der ewige Jüngling scheint bei mir mitunter äußere und innere Ausprägungsmerkmale eines Cristiano Ronaldo anzunehmen, so hochnäsig und eitel, wie er über das Parkett stolzierte. Ich wunderte mich, was der in meiner Psyche zu suchen hat – erschien er mir doch beim vorletzten Trip auch schon –, denn eigentlich verabscheue ich diesen Charakter, aber scheinbar habe ich doch gewisse Ähnlichkeiten in meinem. Immerhin ist er begehrt, gutaussehend, wohlhabend, kann sich nehmen was er will, die Frauen liegen ihm zu Füßen… - alles Dinge, die ich mir über weite Teile meines bisherigen Lebens immer gewünscht hatte – und dementsprechend tritt er auch in der Öffentlichkeit auf. Die Anima kam desöfteren im Stile einer rassigen, unendlich erotischen Tänzerin dahergeschwebt, dass mir das Blut in den Adern stockte – ein Wahnsinnsweib – das universale Weibsbild schlechthin. Die Frau hatte unbeschreibliche Klasse.

Das Geschehen glich zeitweise einem dramatischen Tanz zwischenmenschlicher Tragödien und Romanzen, welche sich in aller Welt abspielen und immer wieder in Gegensätzen und Konflikten ausarten. Dementsprechend hatte ich auch zu leiden, denn alles, was an Emotion und Schmerz, aber auch an Liebe und Leidenschaft im Spiel war, wurde von mir hautnah durchlebt und mitgefühlt, was sich in heftigen körperlichen und geistigen Spannungen entlud. Ich starb tausend Tode und erlebte das absoluteste Glück, das man sich nur vorstellen kann. Wenn es kein Innen und Außen mehr gibt, werden diese Ereignisse nur noch in Form von Anspannung und Entspannung und fließender Energie in sämtlichen Körperregionen wahrgenommen.

Unter anderem durch diese Visionen veranlasst, kam ich zu dem Schluss, dass unserem gesamten Dasein eine höhere intelligente Planmäßigkeit zugrundeliegen MUSS, und dass Archetypen und Gottheiten unterschiedlicher rassischer und kultureller Ausprägungsformen dabei eine wesentliche Rolle spielen. Die menschliche Erfahrung – so erschien es mir – ist in diesem Kontext ein Sich-zur-Verfügung-Stellen, um des Bewusstseins Willen. Ich spürte, dass das Universum beseelt ist, und dass das menschliche Sein bzw. das Universum einen tieferen Sinn hat, was mich mit demütiger Ergebenheit erfüllte. Dieses Prinzip können wir im fragmentierten Alltagsbewusstsein niemals durchschauen geschweige denn überhaupt wahrnehmen, aber wir können einen Blick darauf erhaschen, wenn wir unser gewöhnliches Bewusstsein transzendieren und ganz leise sind.

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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sehr schön beschrieben. Danke.
Dieses Prinzip können wir im fragmentierten Alltagsbewusstsein niemals durchschauen geschweige denn überhaupt wahrnehmen, aber wir können einen Blick darauf erhaschen, wenn wir unser gewöhnliches Bewusstsein transzendieren und ganz leise sind.
:bow:

P.S.: Eigentlich ein Unding für ein psychonautisch Interessierten, sich noch nicht intensiv mit den Jungschen Archetypen beschäftigt zu haben. Dies werde ich auf jeden Fall ändern müssen :buch:
"Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt, so erschiene dem Menschen alles, wie es ist: unendlich. Denn der Mensch hat sich selbst eingesperrt, so dass er alle Dinge nur durch die engen Ritzen seiner Höhle sieht.“
(William Blake)

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Eulenspiegel hat geschrieben:
Erraphex hat geschrieben:.... Sie (die Archetypen) bilden die Essenz dieser unterschiedlichen Erfahrungen.
Wiederspricht aber der Platonischen "Idee", also der Vorstellung, daß die Idee des Baumes{nur als Beispiel} dem materiellen Objekt "Baum" vorausgeht.
Du tendierst eher zu der Vorstellung, die in 'Hogfather' aufgegriffen wird; dadurch werden die Archetypen aber einer Wandlung unterworfen - und somit endlich.
Ich weiß nicht ob das so im Jungschen Sinne ist. :denk:
Wieso sollten sie - rein theoretisch - keiner Wandlung unterliegen? Wo doch quasi alles vom Wandel inbegriffen ist.

Finde die Frage nach der Herkunft und eventuellen Entwicklung bzw. Unwandelbarkeit der Archetypen sehr spannend. Wenn man davon ausgeht, dass wir Menschen die evolutionäre Weiterentwicklung der Tiere sind:
-Hätten die Archetypen im Tierreich ein ebenso breit gefächtertes Anwendungsspektrum, wie im menschlichen Bereich, oder weniger Spielraum?
-Spiegeln die Archetypen nur die wesentlichen Verhaltensmuster des menschlichen Bereiches wider, und sind also nur auf diesen beschränkt, oder haben sie bereits im tierischen Bereich existiert und sich evolutionsbedingt weiterentwickelt?

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Ein kleines Update zu der Geschichte meiner Anima. Nachdem ich die Worte von Erraphex und Mao gelesen, verinnerlicht und ein paar Biegungen in meinem Leben vollzogen habe, nun folgender Traum vor 2 Tagen:
Es läuft eine Party in der Nähe. Altbekannte Gesichter sind alle dort, überwiegend Leute aus dem Jahrgang. Ich komme sehr spät, so erst gegen 2 Uhr und verquatsche mich prompt mit irgendwelchen Pfeiffen am Eingang, sodass ich erst in's Innere gelange als sich die gesamte Versammlung schon fast vollständig aufgelöst hat. Hier begegne ich meiner Anima. Sie hat nun rote Haare, ist bereits seit Ewigkeiten auf der Party gewesen (war voher da, hat sie organisiert, hat sich um alles gesorgt) und nur auf mich gewartet. Sie ist sehr enttaeuscht, weil ich erst kurz vor Schluss angekommen bin und entsprechend ignorant und angefressen behandelt sie mich. Nach kurzer Zeit zerfällt allerdings diese 'Maske' und sie bricht emotional zusammen, fällt mir in die Arme und es gibt ne Art Happy End. Spät, aber immerhin.
War echt ein klasse Traum. So gut ging's mir nach dem Aufwachen lange nicht mehr. :)
Auffallend ist, dass meine Anima auch mehr konkrete Identität gewonnen hat. Ihre Kleidung, ihre Art, sich zu verhalten; das alles ist nun greifbarer geworden, richtig menschlich. Ich konnte ja sogar zu ihr durchdringen. Total cool. Uns verband etwas wesentliches: Sie war damit beschäftigt, auf der Party vordergründig die Strippen zu ziehen und alles am Laufen zu halten. Ich hingegen fühle mich oft als der auktoriale Part im Hintergrund einer Menschengruppe, der von den meisten Leuten akzeptiert wird, der sich nicht (mehr) unbedingt in den Vordergrund drängen muss und dennoch ne Art Autorität besitzt. Das ist die Position, die ich automatisch einnehme, wenn ich in eine neue Gruppe komme. Das passiert einfach. Ich sehe hier gewisse komplementäre Eigenschaften bei der Anima: Sie führt den Partymob bewusst an, ich halte mich hingegen immer eher im Hintergrund. Das ist doch mal ein Vektor, an dem man konkret ansetzen kann.
"if we are able to give priority to the meditation then all else will eventually fall into place on its own accord"

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Für mich die größte Lehre aus dem Gedanken der Archetypen ist:

Der Mensch ist ein Vehikel der Archetypen, so wie der Poet nicht durch die Sprache spricht, sondern die Sprache durch den Poeten. Glück bedeutet, zu erkennen, und zu akzeptieren, wie sich das Leben in einem selber manifestiert...auch wenn man es nicht mag.

Es gibt Personen, Orte und auch Alltagssituationen, welche die unheimlich starke archetypen Kraft ausstrahlen. Gott spricht.

Re: Archetypen nach C. G. Jung

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Ich hab eine Beschreibung der archetypischen Dynamik und Funktionsweise gelesen, die vielleicht etwas Licht auf die Sache wirft.
Die Archetypen sind formal und nicht inhaltlich bestimmt. >>Ihre Form<< - sagt Jung - >>ist etwa dem Achsensystem des Kristalls zu vergleichen, welches die Kristallbildung in der Mutterlauge gewissermaßen präformiert (der Archetypus per se), ohne selber eine materielle Existenz zu besitzen. Diese Existenz erscheint erst in der Art und Weise des Anschießens der Ionen und dann der Moleküle... Das Achsensystem bestimmt somit bloß die stereometrische Struktur, nicht aber die konkrete Form des individuellen Kristalls... und ebenso besitzt der Archetypus... zwar einen invariablen Bedeutungskern, der stets nur im Prinzip, nie aber auch konkret, seine Erscheinungsweise bestimmt<<. Dies bedeutet also, daß der Archetypus als potenzielles >>Achsensystem<< im unbewussten Bereich der Psyche präexistent und immanent ist. Die Mutterlauge, die sich ansetzen muss, die Menschheitserfahrung, stellt die Bilder dar, die sich an diesem Achsensystem verfestigen und die im Schoße des Unbewußten sich zu immer schärferen und inhaltsreicheren Gestalten auffüllen. Das Bild wird also nicht >>erzeugt<<, wenn es aufsteigt, sondern es liegt im Dunkeln da, wo es seit jener Zeit gelegen hat, als es in Form eines typischen Grunderlebnisses den psychischen Erfahrungsschatz der Menschheit bereicherte, und wird sich in dem Maße, als es sich ins Bewusstsein hebt, von einem wachsenden Licht angestrahlt, durch das es nun immer konturierter, bis zur völligen Sichtbarkeit aller seiner Einzelheiten erscheint.

[...]

In jeder einzelnen individuellen Psyche vermögen sie zu neuem Leben zu erwachen, ihre magische Wirkung auszuüben und sich zu einer Art >>Individualmythologie<< zu verdichten, die eine eindrückliche Parallele zu den großen überlieferten Mythologien aller Völker und Zeiten darstellt und in ihrem Werden auch Entstehung, Wesen und Sinn jener gleichsam mitveranschaulicht und in einer vertieften Beleuchtung aufzeigt.
Die Summe der Archetypen bedeutet also für Jung die Summe aller latenten Möglichkeiten der menschlichen Psyche: ein ungeheures, unerschöpfliches Material an uraltem Wissen um die tiefsten Zusammenhänge zwischen Gott, Menschen und Kosmos. Dieses Material in der eigenen Psyche zu erschließen, es zu neuem Leben zu erwecken und dem Bewusstsein zu integrieren, heißt darum nicht weniger, als die Einsamkeit des Individuums aufzugeben und es einzugliedern in den Ablauf ewigen Geschehens. Und so wird, was hier angedeutet wurde, mehr als Erkenntnis und Psychologie. Es wird zur Lehre und zum Weg. Der Archetypus als Urquell der gesamtmenschlichen Erfahrung liegt im Unbewußten, von wo aus er machtvoll in unser Leben eingreift. Seine Projektionen aufzulösen, seine Inhalte ins Bewusstsein zu heben, wird zur Aufgabe und Pflicht.
und bezüglich Synchronizität:
Das Zustandekommen solcher synchronistischer Phänomene erklärt Jung durch ein >>im Unbewußten vorhandenes und wirksames, apriorisches Wissen<<, das auf einer unserer Willkür entzogenen Entsprechungsordnung des Mikro- und Makrokosmos beruht, in der die Archetypen die Rolle der anordnenden Operationen innehaben. In der sinnvollen Koinzidenz eines inneren Bildes mit einem äußeren Ereignis, die das Wesen der synchronistischen Phänomene ausmacht, wird sowohl der geistige als auch der stofflich-köperliche Aspekt des Archetypus offenbar.
Aus: Jolande Jacobi - Die Psychologie von C. G. Jung

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